Man kann einem Auto eine Vielzahl von Adjektiven anhängen, Beispiele wie schnell, sportlich, schick, cool etc. liest man zu Genüge, doch das Wörtchen »chillig« hört man sonst nur in der Jugendsprache, wo es für alles dient, was unangestrengt ist. Chillig passt aber perfekt zu unserem Oldsmobile Custom Cruiser 455, denn, man glaubt es kaum, dieses riesige Auto bewegt man wirklich chillig. Schlägt man das Lenkrad ein, selbstverständlich nur mit Hilfe von Zeigefinger und Daumen oder mit leichtem Druck der Handfläche, fühlt es sich an, als schneide man mit einem heißen Messer durch kalte Butter. Ein unbeschreibliches Gefühl. Wer jetzt an Lenkspiel denkt, liegt falsch, denn die bärenstarke Servolenkung agiert überraschend direkt und ist selbst in der Mittellage spielfrei. Wer meint, dass so ein Raumschiff bestimmt recht träge zu fahren sei, der irrt ebenfalls. Bei diesem Fahrzeug wurde der ultimative 7.5 Liter große 455 Rocket Motor verbaut. Ein Quäntchen mehr Hubraum haben nur wenige Autos, so beispielsweise einige Modelle von Cadillac und die legendäre Viper. Mit leichtem Druck auf das Gaspedal baut sich in Sekundenbruchteilen ein Drehmoment-Tsunami auf, der über das 3-Gang Hydra-Matic-Getriebe an das Differenzial weitergeleitet wird, das wiederum dafür sorgt, dass die Hinterräder aufgeweckt werden und sich daran machen, die 2.3 Tonnen mit Schmiss in Fahrt bringen. Es versteht sich von selbst, dass auch die Akustik nicht auf der Strecke bleibt. Bereits im Leerlauf brabbelt der V8 in einer sonoren Baritonlage und es klingt so als würde Barry White in einer Wellblechhütte auftreten. Kommen wir zu den Fakten. Die Geschichte des Wagens ist genauso packend wie sein cooles Auftreten. Ein James S. aus Bosten, seines Zeichens Tankstellenbesitzer, entschied sich 1972 dazu, nicht mehr wie die letzten dreiundzwanzig Jahre Benzin von Gulf Oil auszuschenken, sondern fortan die Marke Conoco anzubieten. Als Dank für den Umstieg auf den Brand aus Utah bekam er diesen Wagen geschenkt. Jim, wie er von Freunden genannt wurde, nahm die Prämie dankend an, ließ den Olds aber nie zu, denn er griff lieber zu seinem alten Pick-Up, wenn es galt Reifen zu holen oder Batterien zu entsorgen. Der Custom Cruiser war ihm schlicht zu schade für den Alltag und so verbrachte der Kombi die meiste Zeit unter einem Auto-Pyjama in einer ruhigen Ecke der Werkstatt. Nur ab und zu, an einem Wochenende, holte er das Oldsmobile ans Tageslicht und fuhr mit der Gattin zum Einkaufen oder mit den Kindern in den Freizeitpark. 2003 als Jim zweiundsiebzig Jahre alt wurde, entschied er sich, die Tankstelle aufzugeben und so suchte er auch für den Olds einen Platz, den er anschließend bei einem Liebhaber in Florida fand. Dieser wiederum verkaufte den Wagen einige Jahre später an einen Händler in Deutschland. Von dort ging der Wagen 2010 in die Schweiz und blieb fortan in drittem Besitz. Er ist im Moment noch Teil einer Sammlung von hochwertigen Amerikaner-Autos, die aus allen Nähten platzt. Schweren Herzens hat sich der Besitzer entschieden, sich unter anderem von diesem Schmuckstück zu trennen. Aktuell stehen rund 65’000 Meilen auf dem Tacho. Aufgrund des hervorragenden Allgemeinzustandes, des rostfreien und ungeschweissten Chassis und vor allem aufgrund des Erstlackes am ganzen Fahrzeug ist davon auszugehen, dass es die ersten 65’000 Meilen sind. Der Custom Cruiser war der größte und luxuriöseste Kombi den General Motors im Angebot hatte. Berühmt wurden die Modelle, die auch »Clamshell« genannt werden, weil sie auf höchst elegante und faszinierende Art das Heck verschließen. Der unter Teil verschwindet elektrisch im Fahrzeugboden, das Fenster oben im Dachhimmel. So entsteht eine große, uneingeschränkt zugängliche Ladeöffnung. Das Fenster kann auch während der Fahrt offenbleiben. Damit in dieser Konfiguration die Abgase nicht in das Innere gelangen, sitzt der Auspuff seitlich. Der Wagen ist als Veteran geprüft und als 6-Plätzer zugelassen. Der Fahrersitz ist elektrisch verstellbar und natürlich ist eine Klimaanlage mit an Bord. So sind die chilligen Momente auch garantiert, wenn draußen Gluthitze herrscht. Ebenfalls wichtig: Der Olds hat vorne Scheibenbremsen und auch die Abmessungen wollen wir nicht vorenthalten. Länge 5766 mm, Breite 2019 mm. Ein atemberaubendes Fahrzeug aus einer anderen Zeit und von großer Anziehungskraft. Was uns fast am besten gefällt, ist der Zustand – wahrlich beeindruckend! So wohl nicht ein zweites Mal zu finden.